Ob ich etwas über unsere Touren nach Nepal schreiben kann? Aber klar, sehr gern! Am besten, ich gehe weit zurück und erzähle von unserer wichtigsten Reise, der ersten. Als wir ohne Internet und Handy, aber mit viel Neugierde und Optimismus kein anderes Land, sondern eine andere Welt erlebten. Intensiv und prägend. Viel Spaß beim Lesen!
Zwischen Indien und dem tibetischen Hochland erhebt sich das mächtigste Gebirge der Erde. Die Menschen nennen es ehrfurchtsvoll »Himal Alaya«, das bedeutet »Ort des Schnees«. An seiner Südseite liegt Nepal und reicht vom Mt. Everest bis hinab in die weiten Reisfelder der Ganges Tiefebene. Dazwischen, in einem fruchtbaren Tal und ringsum von Bergen geschützt, liegen die märchenhaften Paläste und Tempel der alten Königsstädte und das legendäre Kathmandu. Ein Traumziel meiner Jugend. Aber Schule, Studium und die vielen alltäglichen Dinge ließen den Reisewunsch dorthin fast in Vergessenheit geraten. Bis ein Zufall zu Hilfe kam.
Mitte der 80er Jahre zog ich von Köln nach Stuttgart und durch Glück in eine alte Villa und in eine illustre Wohngemeinschaft. Von irgendwoher schwebte immer der Duft von Räucherstäbchen durch die hohen Räume. Meistens aus dem Zimmer einer jungen Studentin der Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt Tropen. Sie hieß Sushma und kam … aus Kathmandu!
Im Frühjahr 1987 reiste sie zurück in ihre Heimat. Zu ihrer Familie und sehnlichst erwartet von ihrer kleinen Tochter Tara. Und um in ihrem Land Nepal zu arbeiten, von dem sie immer so voller Stolz erzählt hatte. Meine damalige Freundin und heutige Frau Edith und ich waren uns rasch einig, Sushmas »besucht mich mal« erst gar nicht lange aufzuschieben, und noch im gleichen Jahr starteten wir unsere erste große Reise. Mit neuesten Landkarten, Fotoausrüstung, dem üblichen Gepäck plus einem DAV-Seesack voller Hilfsgüter von der Deutsch-Nepalischen Hilfsgemeinschaft Stuttgart für das Bir Hospital in Kathmandu. Der Flieger ab Frankfurt musste defekt in München landen und wir wechselten das Flugzeug, und am Flughafen Kathmandu konnten wir eine Gruppe vom Deutschen Alpenverein gerade noch daran hindern, unseren Seesack in ihren Bus zu verladen. Aber sonst lief alles bestens. Es war Anfang Dezember, Zeit des Advents, was ja »Ankommen« bedeutet. Und vor uns lag eine gute Adventszeit.
Die Landschaften Nepals sind ein Paradies für Trekker und Bergsteiger. Den sympathischen und friedlichen Charakter erhält das Land aber vor allem durch seine Menschen. Eine trotz Armut positive Ausstrahlung und ein starkes kulturelles Selbstbewusstsein zeichnen die Nepalis aus.
Nie kolonialisiert, missioniert oder anderweitig ihrer Identität entfremdet, konnten die vielen Volksgruppen wie die Gurung, die Newar oder die Sherpas ihre Religionen und Traditionen bewahren. Gegenüber Fremden, soweit sie überhaupt hinkamen, waren die Grenzen verschlossen. Als Nepal sie 1950 öffnete, entdeckten die ausländischen Besucher erstaunt und fasziniert eine fast vergessene Welt, die gerade wie aus einem Dornröschenschlaf erwachte.
Umgekehrt schauten die Menschen von Nepal auf die seltsamen Gestalten, die nun ihr Land betraten. In den 50er Jahren waren es die Bergsteiger mit Tonnen von Ausrüstung, die unablässig Gipfel »bezwingen« mussten. In den 60er Jahren erschienen die Hippies, langhaarige junge Leute, die eigentlich nichts taten, aber den freien Verkauf von Marihuana und Haschisch schätzten. In den 70er Jahren wanderten die ersten Trekker mit ihren Stöcken durchs Land. Sie seien »schon zufrieden, wenn sie den ganzen Tag wie das Vieh umherlaufen« beschrieb sie eine ältere Sherpani. Und fügte hinzu »Aber wenn man sie gut füttert, geben sie gut Milch!« Der Tourismus war entdeckt!
Der 5. Dezember 1987 war ein angenehm sonniger Tag mit klarem Himmel. Sushmas älterer Bruder Prakash hatte uns vom Flughafen Kathmandu abgeholt. Am staubigen Straßenrand verkauften Händler Obst, Stoffe und mit scharfen Gewürzen für bessere Haltbarkeit eingeriebenes Fleisch. Ein paar heilige Kühe trotteten langsam durch die Straßen.
Aus Richtung Innenstadt kamen uns Männer mit einem in safranfarbenen Tüchern gewickelten Leichnam auf einer Bambustrage entgegen. Ihr Ziel sei Pashupatinath, erklärte Prakash und ein paar Tage später ging er mit uns auch dorthin. Für westliche Besucher wie Edith und mich ein fremdartiger Ort. Für die Hindus wie Prakash aber einer der heiligsten Plätze Nepals. Rauchsäulen kündigen von weitem die brennenden Holzstöße an, auf denen die Körper der Verstorbenen dem Feuer übergeben werden. Stunden später wird die Asche vom Wasser des heiligen Flusses Bagmati davongetragen. Es ist ein Platz zum Innehalten und der Meditation und Wohnort von »Sadhus« und Asketen. Für eine gute Wiedergeburt wünscht sich jeder Hindu, seinen Körper hier im heiligen Tempelbereich Pashupatinath verlassen zu können. Alles ist Gott Shiva geweiht, dem mächtigsten unter den zahlreichen Hindugötter.
Im Westen Kathmandus thront auf einem Hügel die buddhistische Tempelanlage Swayambhunath, Zeichen der zweiten großen Religion Nepals. Entlang von Reisfeldern fuhren wir mit Fahrrädern bis zum Fuß einer steilen Treppe, die zum großen, runden Stupa führte. Tausende bunter Gebetsfähnchen wehten im Wind und die Augen Buddhas blickten nach allen Richtungen über das Land. Dunkelrot und orangefarben gekleidete Mönche, Gläubige und Ungläubige wie wir gingen gemächlichen Schrittes um das Heiligtum. Immer im Uhrzeigersinn, um die Gebetsmühlen mit der reinen, der rechten Hand zu berühren und zu drehen. »Followers of any Religion are Welcome« stand am Eingang eines kleinen Tempels unten in der Stadt, und das galt bis auf ganz wenige Tempelbezirke überall.
Sushma und Tara wohnten in Tansen, etwa 300 Straßenkilometer westlich von Kathmandu. Für die geschätzt zehnstündige Fahrt hatte Prakash Tickets besorgt und brachte uns abends zum richtigen Nachtbus. Der war voll besetzt, der Gang zugestellt mit Taschen, verschnürten Paketen und Säcken. Ab und zu machten sich Hühner bemerkbar, die irgendwo vorne zusammengebunden unter einem Sitz lagen, während der Bus stoisch auf holprigen Wegen durch die schwarze Nacht rumpelte. Nach Mitternacht hielt er für eine längere Rast an einer spärlich beleuchteten Hütte und wir konnten uns «Dal Bhat» holen, das alltägliche Gericht vieler Nepalis. Reis mit Linsen und Gemüse. Die Mitfahrer waren genauso müde wie wir und in sich gekehrt, aber es sprach ohnehin niemand Englisch. Ein paar Flöhe besuchten mich, sonst war es ruhig.
Ob wir geschlafen haben, weiß ich nicht mehr. Irgendwann dämmerte der Morgen und im Nebel vor uns tauchte das Bergstädtchen Tansen auf. Wir waren da. Aus dem Bus geklettert, gestreckt und erstmal tief durchgeatmet, dann reichte jemand unsere verstaubten Rucksäcke vom Dach. Alles war da. In der Nähe muss Sushma schon länger gewartet haben, denn plötzlich stand sie mit lachendem Gesicht vor uns und schloss uns in die Arme.
Sie und ihre zweijährige Tochter Tara bewohnten ein großes, gelbes Haus der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ, bei der sie in einem Projekt zur Verbesserung der Situation der viele Kleinbauern arbeitete. Dabei ging es um Saatgut, Düngung, Fruchtfolgen, Finanzen, oder ob die Sterne oder die Wetterprognosen den Zeitpunkt der Aussaat festlegen sollten. Und ob manche seit Generationen unveränderte Anbaumethode vielleicht doch mal hinterfragt werden kann. Wir begleiteten sie bei Ihren Besuchen in abgelegenen Bauernhäusern, was regelrechte Bergtouren waren.
In diesen Wochen sind wir gut und sicher mit Bus, Flugzeug und Taxi durch Nepal gereist. Nach Tansen folgte Pokhara mit seinem wunderbaren Fewa-See und einem malerischen Blick auf die Berge der Annapurna-Kette. König Birendra hatte diesen Platz für seine Sommerresidenz erkoren. Die Hippies fanden ihn auch paradiesisch und fühlen sich zum Ärger des Königs sehr wohl, worauf der den Verkauf von Cannabis-Produkten einschränkte.
Etwa 20 km östlich von Kathmandu lag am Ende einer Gebirgskette Nagarkot und die Lodge »Niva Home« von Shyam. Ohne Strom, Telefon oder fließend Wasser aber in großer Stille und mit einer unglaublichen Aussicht. Shyam versicherte, dies sei der beste Platz auf der Welt und sogar die Spitze des 140 km entfernten Everest wäre zu sehen.
Apropos Everest: Tage später und nach einem Blick auf unsere Finanzen buchten wir zum Abschluss unserer Reise einen »Mountain Flight«. Mit einer Propellermaschine Richtung Osten in die Khumbu Region der Sherpas und zum höchsten Berg der Erde. Die Tibeter nennen die gewaltige Felspyramide »Chomolungma – Muttergöttin des Universums«. Die Engländer benannten ihn nach ihrem ehemaligen Landvermesser in Indien, George Everest. Dem majestätischen Berg wird es egal sein.
Unsere späteren Reisen waren immer eine spannende Mischung zwischen Freunde besuchen, Kultur und Natur, die in diesem subtropischen Land nicht nur aus Bergen besteht. Wir haben Taras Hochzeit gefeiert und den Mönchen im Kloster beim Rezitieren der Mantras zugehört, im südlichen Terai mussten wir zu Fuß vor einem Nashorn flüchten und am 6400 m hohen Mera Peak im Schneefall umkehren. Alles war gut.
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Zuletzt aktualisiert im September 2024